Bauhaus, eine der prägendsten und fortschrittlichsten Gestaltungsschulen des letzten Jahrhunderts, feiert in diesem Jahr sein 100. Gründungs-Jubiläum. Zahlreiche Designikonen entstanden während des 14-jährigen Bestehens der modernistischen Kunsthochschule. Bedeutende, im damaligen Sinne multidisziplinäre Gestalter, die Handwerk und Kunst fusionieren ließen, lehrten am Bauhaus. Ideen und Arbeiten, die an der renommierten Schule entstanden, beeinflussten die Gestaltung nachhaltig.
Während die Reproduktion von Bauhaus-Stühlen heute Hochkonjunktur erfährt und fast in jeder Arztpraxis eine Kopie des bekannten Freischwingers von Marcel Breuer zu finden ist, wird auch ein unbekannterer Teil der jahrelang in den Archiven verschwundenen, teilweise unveröffentlichten Bauhaus‘chen Schriftgestaltung wiederentdeckt.
Im Rahmen der diesjährigen Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag berief die Stiftung Bauhaus Dessau, in Kooperation mit Adobe, Schriftgestalter an die ehemalige Kunsthochschule, um fünf typografische Bauhaus-Entwürfe neu zu interpretieren und in digitaler Form zur Verfügung zu stellen.
Durch Bestrebungen von fünf Universitäten und des bekannten Typografen Erik Spiekermann wurde eine Handvoll Studierende an das Bauhaus eingeladen, um sich der Herausforderung zu stellen. Unter ihnen waren auch Flavia Zimbardi und Luca Pellegrini, die sich nun mit ausgewählten Schriftentwürfen, typografischen Skizzen und Posterentwürfen, die jahrzehntelang im Bauhaus Dessau archiviert wurden, beschäftigen konnten.Einer dieser Schriftentwürfe ist Xants von Xanti Schawinsky, der von dem Grafikdesigner und ECAL-Master-Studenten Luca Pellegrini rekreiert wurde. Schawinsky, ein interdisziplinärer Künstler des Bauhauses, hatte bereits zu Beginn der 1930er-Jahre einen kompletten Zeichensatz gestaltet, den Luca Pellegrini nun mit zusätzlichen Zeichen wie Währungssymbolen, Interpunktion und mathematischen Zeichen vervollständigte. Die entstandene Schriftart Xants hat Stencil-Merkmale und trotz linearen Designs einen neoklassizistischen Charakter. Sie fällt durch ihren starken Linienkontrast auf.
Die zweite Schrift, die für das Projekt Hidden Treasures Bauhaus Dessau neu aufgelegt wurde, ist Joschmi. Im Gegensatz zu Xants standen bei Joschmi zu Beginn nur sechs analoge Minuskel-Entwürfe (a, b, c, d, e, g) zur Verfügung. Entworfen wurde Joschmi von Joost Schmidt, der am Bauhaus studierte und später unter anderem Schriftgestaltung unterrichtete. Neu-rekonstruiert wurde der Schriftentwurf von der in New York lebenden Typografin und Cooper-Union-Absolventin Flavia Zimbardi.
Die entstandene Schriftart Joschmi besteht aus einfachen geometrischen Formen, die – charakteristisch für das Bauhaus – an einem Raster ausgerichtet sind. Aus den sechs Kleinbuchstaben entwickelte Flavia Zimbardi durch zusätzliche Parameter ein funktionierendes Schriftdesign. Die Schriftart Joschmi erscheint trotz ihrer auffälligen Enden überraschend minimalistisch. Durch die klobige Kurvenform lässt sich die Schrift leicht mit dem Bauhaus in Verbindung bringen. Der Stencil-Look verleiht der engen Schrift einen zurückhaltend verspielten Ton. Durch zusätzlichen Weißraum wirken die fetten Balken lesefreundlicher.Die Arbeit an Joschmi startete also nicht mit einem weißen Blatt, sondern mit bestehenden Buchstabenentwürfen. Wie sich der Prozess der digitalen Rekreation einer Schrift von einem Neuentwurf unterscheidet und die Herausforderungen, die beim Neu-Interpretieren einer Schrift entstehen, beschreibt Flavia Zimbardi als „ein Spiel, in dem man entscheiden muss, wann man dem Original wahrheitsgetreu folgt und wann man optische Korrekturen durchführt, um die Idee bzw. das Konzept in ein funktionierendes Produkt für heute zu verwandeln.“
Flavia Zimbardi beschreibt den Prozess der Neugestaltung als spannend, da er ihr im digitalen Bereich viele Möglichkeiten eröffnete. Vor allem die Arbeit mit einem Rastersystem war für sie von großer Bedeutung: „Dies ermöglichte mehr Versuchsdurchführungen und die Erstellung vieler alternativer Formen – die als Open-Type-Styles in der endgültigen Schriftart vorhanden sind.“
Das Neu-Interpretieren einer Schriftart erschafft neue Herausforderungen. Es entsteht kein eigener Entwurf auf einem unbeschriebenen Blatt. Dabei ist es wichtig, die Idee des Originals – nicht zuletzt vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund – und die Geschichte hinter der Schrift zu verstehen. Dies geschieht mit dem Ziel, die einzelnen Buchstaben-Komponenten zu analysieren, ein Rastersystem neu zu entdecken, um ein Muster in der Schriftgestaltung zu entdecken. Flavia Zimbardi beschreibt diesen Aspekt des Schrift-neu-Entwerfens mit den Worten: „Als wäre man Archäologe und Designer zugleich.”
Im Rahmen des fortlaufenden Projektes Hidden Treasures Bauhaus Dessau werden noch drei weitere Schriftarten, die neben Xants und Joschmi Teil des Projektes sind, (neu) veröffentlicht.
Die ursprünglichen Entwürfe der noch folgenden Schriften stammen von den Bauhaus-Meistern Carl Marx, Alfred Arndt und Reingold Rossig und sollen in den folgenden Sommermonaten nach und nach veröffentlicht werden. Die bereits erstellten Schriftarten befinden sich schon im Adobe Typekit.