The Wing ist ein Co-Working-Space für Frauen in Nordamerika, der 2016 von den New Yorkerinnen Audrey Gelman und Lauren Kassan gegründet wurde. Er verdankt seinen Namen dem feministischen Essay „Ein Zimmer für sich allein“ von Virginia Woolf. Dabei will er viel mehr bieten als nur ein Zimmer oder einen Wohnungsflügel: The Wing stellt seinen Mitgliederinnen nicht nur einen Raum zum Arbeiten zur Verfügung, sondern bietet auch ein Netzwerk und viele Events.
Den ersten Co-Working-Space für Frauen eröffneten die Gründerinnen an der ehemaligen Ladies’ Mile, unweit des Flatiron-Gebäudes in Manhattan. Dort siedelten sich vor rund 100 Jahren die ersten Frauenclubs an, die jedoch verschwanden, als Frauen mehr gesellschaftliche Rechte erhielten und das Interesse an den progressiven Clubs sank.
100 Jahre später griffen Gelman und Kassan das Konzept wieder auf – mit Erfolg, denn The–Wing-Clubs gibt es inzwischen nicht nur an der ehemaligen Ladies’ Mile, sondern auch an weiteren Standorten in den USA und in Kanada. Die ersten europäischen Dependancen sollen im kommenden Jahr in London und Paris ihre Pforten öffnen, weitere sind in Planung.
Auf Instagram zählt der Frauenclub mehr als eine Viertelmillion Follower. Auf dem Account werden seit November 2015 vor allem Aufnahmen von Veranstaltungen, Fotos der neuesten, hauseigenen Merchandise-Produkte und andere Bilder gepostet, die in das Branding-Farbschema passen. The Wing setzt also nicht nur auf soziale Medien, sondern auch auf Design.
Für die Gestaltung wandten sich die Gründerinnen an die Designagentur Pentagram, wo das Branding von einem Team aus Grafikdesignerinnen rund um Emily Oberman entwickelt wurde. Zu dem Projekt gehörten die Gestaltung des Logos, der Innengrafiken für die Räumlichkeiten und des Merchandisings sowie die Erstellung einer Website und weiterer Online-Bereiche.
Um ein authentisches Branding zu entwickeln, arbeitete das Pentagram-Team eng mit Gelman und Kassan zusammen. Dabei lag die Herausforderung vor allem darin, eine Corporate Identity zu schaffen, die eine große Vielfalt von Frauen anspricht, ohne dabei auf stereotypische Vorurteile einzugehen, und die sich klar vom typischen kühlen Co-Working-Space abgrenzt. So steht das Design von The Wing im starken Kontrast zu dunklen Clubs und gängigen Großraumbüros.
In Sachen Schrift setzt The Wing sowohl auf klassische als auch auf zeitgenössische Typografie. Als primäres Schriftdesign wurde die Schrift Bianco Serif von AlfaType verwendet. Die Wortmarke wurde von Pentagram in Bianco gesetzt, wobei die hinzugefügten Serifen des W an kleine Flügel erinnern.
Dass The Wing mehr als ein Co-Working-Space sein will, zeigt auch das Logo-System, das unendliche Variabilität und radikale Originalität vereint. Denn hierfür wurden ganze 30 verschiedene Varianten des Buchstabens W kuratiert, die metaphorisch die vielen verschiedenen Persönlichkeiten der Mitglieder untermalen und den humorvollen Denkansatz des Clubs widerspiegeln, der ein einengendes und stereotypisches Frauenbild bekämpfen will. Durch die Individualität der visuell überraschenden Logos erscheint das Branding enorm flexibel. Von scheinbar gewöhnlich bis humorvoll provozierend dient das Logo-System als visuelle Anspielung an die Mission des Clubs. Zu den visuell überraschenden Logos gehören moderne, serifenlose Schriften, aber auch besonders ausgefallene wie Alpha-Wurst, Cottonwood, Mythos und Retail Script sowie das Wonder-Woman-Symbol. Der Kern des Logo-Systems ist das ikonische W, das für das Logo verwendet wird.
Bei dem Branding wurde auch an die Räumlichkeiten gedacht: Für die Gestaltung der Tapeten arbeitete Joana Avillez nicht nur eng mit der Gründerin Audrey Gelman zusammen, sondern „auch mit Chiara de Rege, der Innenarchitektin, und Payton Turner von Flat Vernacular, die das Papier produzierte“, wie sie sagt. Diese Zusammenarbeit mit Frauen aus anderen Disziplinen hat sie fasziniert. Am meisten mochte sie daran, „dass es eine richtige Zusammenarbeit war. Manchmal kann so etwas leicht zu einer frustrierenden Situation werden, ganz nach dem Motto „Viele Köche verderben den Brei“, aber in diesem Fall mussten alle ihren Teil dazu beitragen, dass das Projekt vorankommt.“ Ihr Lieblingsaspekt an der Arbeit war es, mit Leuten, die sie bewundere, „etwas Lebensgroßes zu schaffen“. Was natürlich auch wieder die Magie des Co-Working-Spaces hervorhebt.
Die Gestaltung von The Wing im wiedererkennbaren visuellen Stil, der trotz zeitgenössischer Aspekte ein Gefühl von Nostalgie hervorruft, entstand nicht zuletzt dadurch, dass das Pentagram-Team auf historische Plakat-Wahlkampfgrafiken zurückgriff. Die sogenannten Suffragetten-Grafiken, die im letzten Jahrhundert zur Mobilisierung für Frauenrechte gestaltet wurden, haben einen seriösen und gleichzeitig humorvollen Stil. Auch das ikonische The-Wing-Logo wurde als Umgebungsgrafik eingesetzt und befindet sich beispielsweise an der Rezeption oder auf Plakaten an den Wänden.
Die Frauenclubs des letzten Jahrhunderts waren eine große Inspirationsquelle für The Wing. Dies gilt nicht nur für das Design, sondern auch für die Selektivität des Co-Working-Spaces, denn er ist „sehr Manhattan“. So exklusiv wie das Design von Pentagram ist auch der Preis: Stolze 2200 Dollar kostet die Mitgliedschaft im Jahr. Er steht so nur einer bestimmten Art von Frau offen, nicht anders also als es bei den Clubs vor 100 Jahren der Fall war.
The Wing ist widersprüchlich, aber erfolgreich. Gelman und Kassan haben eine Marktlücke entdeckt, die sie mithilfe von hervorragendem Branding zu einer international erfolgreichen Firma aufbauen konnten.