Erfahrungen, Erfahrungen, Erfahrungen.
Wie ich auch in meinem neuesten Buch zum Thema Customer-Experience-Strategien (CX) erfolgreicher Marken deutlich machen konnte, machen die sogenannten Kundenerfahrungen in letzter Zeit viel von sich reden. Manchmal sogar etwas zu viel.
- Wenn man heutzutage in ein Restaurant geht, um den guten Service einer hervorragenden Küche zu genießen, nennt sich das Food Experience. (Vielleicht noch ein Glas Wein dazu? Das ist dann die Wine Experience.)
- Eine schöne Reise zu genießen wird Teil einer zufriedenstellenden Travel Experience.
- Eine Tour in einem Rennwagen, eventuell ergänzt durch einige zusätzliche Annehmlichkeiten, wird sofort zur Driving Experience.
Diese Liste könnte ich unendlich lang fortsetzen: Ich zitiere des Weiteren die Fälle der internationalen Hotelkette Radisson Blu, die ihren Gästen die Organisation von Experience Meetings anbietet, sowie des Kreuzfahrtunternehmens MSC Cruises, das 2016 zusammen mit Technogym eine neue Wellness Experience ins Leben rief, „um auf die steigende Nachfrage im Wellness-Tourismus zu reagieren“. Zuletzt weisen die Etiketten einiger Shampoos oder anderer Seifen in den Supermarktregalen die potenziellen Käufer darauf hin, dass sie Seide oder Honig enthalten. Diese Eigenschaften sind aus funktionaler Sicht häufig völlig unnütz, doch sie verleihen dem Produkt aus genussorientierter Sicht einen zusätzlichen Wert.
Nach der großen Menge an Anreizen und an sich deckenden Analysen zu unterteilen, ist die Thematik der „Erfahrungen“ scheinbar von größter Wichtigkeit für die Menschen und – folglich – für die Marken und Unternehmen, die ständig auf der Suche nach neuen Wegen der Interaktion und des Dialogs mit der Öffentlichkeit sind.
Das komplizierte Management der Customer Experience…
Hier stößt man jedoch auf ein Hindernis: Sollten tatsächlich beide Seiten die Planung und den Genuss relevanter, lebendiger – oder in einem Wort effizienter – Erlebnisse als unabdingbar betrachten, bestehen andererseits in den Unternehmen noch große Zweifel und Ratlosigkeit bezüglich der Frage, wie man eine erfolgreiche CX am besten entwickelt und verwaltet.
Einige Ergebnisse einer Studie, die die Harvard Business Review Analytic Services 2014 in Zusammenarbeit mit dem SAS Institute unter 403 Führungskräften mit dem Titel „Lessons From the Leading Edge of Customer Experience Management“ durchführte, geben Aufschluss. Während 45% der Teilnehmer die CX als strategische Priorität betrachten, so hat derselbe prozentuale Anteil (!) Schwierigkeiten, die getätigten Investitionen für die Entwicklung, Umsetzung und Optimierung der CX mit dem Gewinn aus dieser Investition in Form von Geschäften in Verbindung zu setzen. Das liegt in erster Linie an der schwierigen Integration der unternehmerischen Abläufe, an der Komplexität aufgrund der zahlreichen Kanäle und an den Organisationsstrukturen, die es nicht immer ermöglichen, die vom externen Markt erhaltenen Einblicke zu internalisieren und zu kanalisieren.
… führt zu einigen „syntaktischen“ Schwierigkeiten zwischen CX und Kreativität
Diese grundlegende Fehlausrichtung zieht negative, potenziell schädliche Folgen mit sich: Sie ermuntert – oder erzeugt sogar – die Wahrnehmung, dass die Customer Experience nicht mehr ist als eine ästhetische, künstlerische und kreative Geste. Manchmal auch „nur“ eine grafische. Die CX wird somit zum Synonym für das Restyling (obgleich schön und überzeugend) der Unternehmenswebsite, für die erfolgreiche Planung einer Unternehmensveranstaltung, die die geladenen Gäste auf angemessene Weise miteinbezieht, oder für die gelungene Entwicklung eines Rebranding-Projekts (entsprechend der besten Guidelines und Brand Manuals der Marktführer).
Die Wirklichkeit ist jedoch anders und viel komplexer, mit paradoxen Zügen: Wenn wir einer klassischen Definition folgen, ist die Customer Experience die Gesamtheit all dieser Erfahrungen und noch viel mehr – denken Sie beispielsweise an die Kundenbetreuung nach dem Kauf oder an die positive Mundpropaganda durch einen zufriedenen Kunden. Es handelt sich um ein wahres Paradigma, das verschiedene Perspektiven, Rahmenkonstruktionen und Arbeitsweisen beinhaltet.
Hier kommt jedoch die Magie ins Spiel, die ich bereits im Untertitel dieses Artikels erwähnte. Die digitalen Medien und die technologische Innovation haben die Kreation digitaler Artefakte ermöglicht, die in sich selbst und ihrer Perfektion kreative Ausdrucksweisen und Einfühlungsvermögen mit Customer Experience vereinen.
Um etwas deutlicher zu machen, was ich damit meine, erläutere ich nachfolgend zwei Fälle, die ich als eine Art Richtschnur betrachte: Atom Bank und Google.
Fall Nr. 1: Atom Bank: das Logo, das Sie miteinbezieht
Atom Bank ist ein Beispiel, das ich sehr gerne in meinen Vorlesungen und beim Austausch mit Kunden und Partnern aufzeige: Sie ist die erste Bank, die ausschließlich online agiert. (Ja, Sie haben richtig gelesen: ausschließlich. 🙂 ) Unter Einsatz biometrischer Mittel schafft es das englische Finanzinstitut ausgezeichnete Sicherheitsstandards zu erhalten, während ihre eigenen Kunden all ihre Geldgeschäfte ausschließlich über Smartphone oder Tablet tätigen können. Das bringt große Vorteile in Sachen Implementierung und Verwaltung von Filialnetz und Brokern mit sich, was zu nicht unerheblichen Kostenvorteilen für die Kunden führt.
Doch Atom Bank verwöhnt seine Kunden nicht nur mit den neuesten Technologien und der Möglichkeit, Zeit und Geld zu sparen. Die drei grafischen Elemente, die das Logo der Bank bilden, können von den Kunden selbst personalisiert werden. Sie können für jede der drei Leisten aus verschiedenen Formen und Farben auswählen.
https://youtu.be/HRNuGwIv-C0
Eine tolle Methode, um das Unternehmensmantra, nach dem „jeder Kunde einzigartig ist“, zu verkörpern, denken Sie nicht?
Fall Nr. 2: Doodle, Googles Art und Weise an Ihrem Alltag teilzuhaben
Wer kennt nicht die Doodles von Google?! Das sind die vorübergehenden Variationen des Google Logos, die man auf der Seite der Suchmaschine an bestimmten Feiertagen oder zu besonderen Anlässen – ob national oder international – bewundern kann.
Zu Halloween 2017 passte Google sein Logo beispielsweise an und man konnte darauf klicken, um auf eine spezielle Landingpage zu gelangen.
Durch Anklicken wurde dem Nutzer ein kurzer Animationsfilm vorgespielt, mit dem „Big G“ wieder einmal die wichtige Bedeutung von Liebe und Freundschaft betonen wollte, die alle Klischees überwinden können.
Wieder von einem Logo ausgehend, schaffte es Google mit seinen Doodles die Aufmerksamkeit auf das Thema Customer Experience zu lenken und dadurch mindestens drei Vorteile für das Marketing und Branding zu erzielen:
1. Überwinden des natürlichen Misstrauens der Personen gegenüber Unternehmen und Marken dank spielerischer Mittel. Seit mindestens 20 Jahren ist vom „Relationship Marketing“ die Rede, seit mindestens 10 Jahren von Content Marketing und seit mindestens 5 von der „Gamification“ bzw. dem Spieledesign. Was wäre da also besser, als seinem Publikum durch ein kleines Spiel näher zu kommen?
2. Kommunikation der Markenvision und -werte: Eine Marke kann nicht nur für sich allein stehen und existieren. Bei richtiger Planung kann sie sogar eine Sammlung von Gedanken, Handlungsbereitschaft sowie gute Angebote des dahinterstehenden Unternehmens verkörpern. Mit den Doodles spielt Google nicht nur gemeinsam mit seinen Nutzern. Im Gegenteil: Google nutzt ihre Aufmerksamkeit, um positive Botschaften zu kommunizieren, um sie zu informieren, um ihnen zu verstehen zu geben, auf welche Weise die Marke die Welt ein Stück besser machen möchte. Im Falle von Halloween mit der Bedeutung von Freundschaft und Liebe.
3. Verlängerung der Zeitspanne, die die Personen den Assets der Marke widmen. Ich persönlich habe mindestens fünf Minuten damit verbracht, auf das interaktive Logo zu klicken und mir danach den Film zu Halloween 2017 vollständig anzustehen. Wenn dieser „Ausflug“ nicht geplant gewesen wäre, hätte sich mein Interesse für das Logo von „Big G“ am Halloween-Tag vermutlich auf wenige Sekunden beschränkt.
Schlussfolgerungen: Kreativität vs. Customer Experience – suchen Sie die Unterschiede!
Wir leben in einer Zeit des Content Chaos und der Überhäufung mit multisensorischen Reizen (visuell, textuell etc.). In einem derartigen Umfeld ist es grundlegend, sich von der Menge abzuheben und relevante Inhalte zu bieten. Da ist sie, die Relevanz: Das unabdingbare Zauberwort, das alle Arten kreativer Inhalte vervollständigt. Denn die eigene Kreativität ist nur dann relevant, wenn sie die Erlebnisse der Menschen aufgreift, ihre Seele berührt und zum Handeln anregt. Der Weg zur Customer Experience mag für viele Unternehmen – egal ob klein oder groß – noch lang sein, doch irgendwo muss man schließlich anfangen.
Hier ist mein Ratschlag: Beginnen Sie mit Ihrer Kreativität, nutzen Sie Relevanz als Anreiz und schlagen Sie letztendlich den Weg in Richtung CX ein.