Bis in die 1920er Jahre wurde die Farbe Pink konventionell nicht mit dem weiblichen Geschlecht verbunden. Im Gegenteil, in bourgeoisen Kreisen galten Rosa-Rot-Töne als „Jungenfarben“ und waren das Gegenstück zum femininen Blau, das nach christlicher Tradition und in klassischen Gemälden wiedererkennbar die Farbe der Jungfrau Maria war.
Nachdem die Zeitung The Sunday Sentinel noch 1914 ihren Lesern riet, sich an Konventionen zu halten, das heißt, Jungen rosa und Mädchen blau zu kleiden, wurde Blau während der Zwanzigerjahre durch Arbeiteranzüge und Marineuniform zur Farbe der männlichen Arbeitskräfte. Vice versa wurden Rottöne zu Frauenfarben auserkoren. Die Massenproduktion zementierte diese Spaltung. Die Assoziation von Farben mit verschiedenen Geschlechtergruppen ist heute so tief in unserem Alltag verankert, als sei dies kein bloßer Brauch, sondern angeboren und genetisch bedingt. Girly-Pink definiert nicht nur das Corporate Design von Kindermarken wie Barbie und Hello Kitty, sondern auch von vielen anderen Produkten für Frauen.
Traut man seinen Augen, hat das Gender-Marketing fleißiger Werbeabteilungen, das sich bei Form- und Farbschemata an Stereotypen bedient, gewonnen. Visueller Alltagssexismus begegnet uns vor allem zwischen Supermarkt- und Drogerieregalen. Verpackungen, die zum Kaufen anregen sollen, sind klischeehaft auf Zielgruppen zugeschnitten. Nach den Regeln des Gender-based Packaging ist alles für die Frau mindestens in Details rosa-rot und oval, für den Mann ist alles, was dunkel ist und Kanten hat.
Marketing-Abteilungen wissen diesen Unterschied für sich zu nutzen, doch oft spielen unterschiedliche Präferenzen zwischen Anbietern und Verbrauchern keine große Rolle, sondern werden stigmatisiert und Nutzer in eine (falsche) Schublade gesteckt. Das endet im Fauxpas, wenn Produkte für Frauen als Abweichung der Norm gestaltet und vermarktet werden und sich dies über Kundenrezensionen und Twitter-Threads verbreitet. Bekanntes Beispiel: „For her“-Kugelschreiber von BIC.
Im Rahmen verschiedener Studien wie From Cradle to Crain – The Cost of Being a Female Consumer wurden Preise von Produkten untersucht, die sich an Frauen und Männer richten. Es wurde ermittelt, dass Produkte, die als Frauenprodukte beworben werden, oft um einiges teurer sind als die gleichen Produkte für Männer. Die Pink-Tax wurde nicht nur bei Hygieneprodukten festgestellt, sondern auch bei Kinderspielzeug und Bekleidung. Ungleiche Machtverhältnisse sind im Design einbettet und legitimieren eine sexistische Kultur.
Die Umwelt- und Gleichberechtigungspolitik vieler Unternehmen, die sich als nachhaltig und innovations-orientiert präsentieren, spiegelt sich nicht in der Arbeit ihrer Design- und Marketingabteilungen wider. Design bedeutet hier nicht Innovation, ihr Gender-Marketing entpuppt sich als normativer Sexismus à la Frauen lieben Prinzessinnen-Pink, vor allem in Kombination mit schlanken, glänzenden Verpackungen, Männer hingegen alles was matt-schwarz bis dunkelblau oder chrom ist, „48h“ Halt verspricht und mindestens „3-in-1“ Produkte zusammenfasst. „FOR MEN“ und „Sport“ prangt auf Verpackungen, die auf wenigen Quadratzentimetern eine Informationswucht entfalten, damit Mann die Entscheidungen zwischen Verkaufsregalen möglichst schnell trifft.
Verpackungsdesign beeinflusst Kaufentscheidungen. Dabei werden die Bedürfnisse der Benutzer oft falsch eingeschätzt. Immer mehr Menschen identifizieren sich als non-binär, viele wollen sich nicht über ihr Geschlecht definieren und einige als geschlechtslos. Verpackungsdesigner finden auf diese Entwicklungen neue gestalterische Antworten und setzen bei Unisex-Produkten bewusst auf geschlechtsneutrale Verpackungen, die überholte Vorstellungen außer Kraft setzen. Design hilft Realitäten schaffen, durch geschlechtsneutrales Design wird auf die Vielfalt der Gesellschaft geantwortet.
Marken wie The Ordinary, m/f oder Sam Farmer treffen mit schlichter, genderneutraler Gestaltung der Verpackung den Puls der Zeit und sind damit erfolgreich. Die Düfte ihrer Produkte sollen für alle angenehm sein. Die Verpackungen sind unverblümt minimalistisch.Mit ihrer zurückhaltenden Gestaltung erinnern sie an vertrauenswürdige Verpackungen aus Apotheken und sind durch Typografie und großzügigen Weißraum doch ästhetisch.
Viele junge Marken, denen genderneutrales Verpackungsdesign am Herzen liegt, legen auch hohen Wert auf umweltfreundliche Materialien für Verpackungen. In Werbeaufnahmen wird mit Design kommuniziert, Aufnahmen von Models stehen nicht im Vordergrund. Geworben wird weder mit „forever young“- noch mit „forever beautiful“-Parolen, sondern mit Qualität der Inhaltsstoffe. Das Design der Verpackung stellt die Funktion des Produktes für den Verbraucher in den Vordergrund und nicht dessen biologisches Geschlecht und damit verbundene Stereotypen. Es ist eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen und ihre Facetten. Geschlechtsneutrales Verpackungsdesign geht nicht mit einer Einschränkung der Kreativität einher, es eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten „für alle“.