Illustrierte Videoclips

Illustrierte Videoclips

Anabel Herrera Veröffentlicht am 11/23/2018

Ein Beispiel ist die Single, mit der die norwegische Band A-ha berühmt wurde, und der dazugehörige Videoclip, einer der beliebtesten der Musikgeschichte. In „Take on me“ aus dem Jahr 1985 liest ein Mädchen in einer Cafeteria einen Comic, als plötzlich der Protaganist, bei dem es sich um keinen geringeren als Morten Harket handelt, dem Mädchen zuzwinkert und sie dazu einlädt, in seine mit Bleistift gezeichnete Welt einzutauchen.

Julián Saldarriaga erinnert sich daran, wie ihn als Jugendlicher diese Liebesgeschichte, die sich inmitten eines Mordversuchs entwickelte, in den Bann zog. Er ist der Gitarrist der Band Love of Lesbian, die dieses Jahr ihr zwanzigjähriges Bühnenjubiläum feiert, und komponiert deren Texte gemeinsam mit Santi Balmes. Es handelt sich zudem um eine der Epochen in Spanien, in denen zum ersten Mal Illustrationen und Animationen in Videoclips verwendet wurden. So werden beispielsweise in „Pizzigatos“ Illustrationen Gummistempel verwendet, um den Figuren Bewegung zu verleihen, und es kommt die Rotoskopie zum Einsatz, ein altes Animationsverfahren, bei dem die Fotogramme von realen Filmen mit „durchgepausten“ Zeichnungen über jedem Fotogramm ersetzt werden.

„Die Illustration in den Videoclips erfüllt eine Doppelfunktion: Auf der einen Seite hält sie Abstand zur kindlichen Zeichnung und bewegt sich näher an der Erwachsenenwelt, aber gleichzeitig erlaubt sie dem Erwachsenen, eine kindliche Sichtweise zu behalten“, meint Saldarriaga und er weist auch darauf hin, dass „sich die Traumwelt und die reale Welt anhand von Design und Illustrationen viel leichter vermischen lassen.“ Die Möglichkeit, so Träume widerzuspiegeln, brachte Love of Lesbian dazu, diese Technik für die Videolyrics – Videos, in denen die Texte eines Lieds gezeigt werden – ihres vorletzten Albums „El poeta Halley“ (2016) anzuwenden.

Danach gefragt, wie der Gestaltungsprozess eines illustrierten Videoclips vor sich geht, antwortet Saldarriaga, dass die Band – ebenso wie beim Cover eines Albums – zunächst viel Zeit dafür aufwendet, Ideen zu sammeln, insbesondere auf Instagram. Sobald sie entschieden haben, wer für den kreativen Teil zuständig ist, beginnen die Gespräche, später mischen sie sich jedoch wenig in den Prozess ein, sondern lassen dem Autor unbegrenzte Freiheit bei der Arbeit.

So entstand ihr erster illustrierter Videoclip, der gleichzeitig auch ihr bekanntester ist: „Te hiero mucho (La historia del amante guisante)“, ein Titel aus dem Album „1999“ (2009), in dem eine Erbse als Superheld aus einem Buch herausspringt, in dem sich verschiedene Szenarien entfalten.

Für die Umsetzung verwendete die Autorin Lyona ausgeschnittene Pappfiguren, die sie mit der „Stop Motion“-Technik animierte. „Mit echten Bildern wäre es nicht möglich gewesen, eine Erbse mit Umhang zu zeigen. In einem solchen Fall greift man zur Illustration und Animation, denn so kann man zeichnen, was man will, und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt“, erzählt die Regisseurin und Illustratorin, die zu den bekanntesten Spaniens gehört.

Lyona ist die Regisseurin der genialen Videoclips „Pollo frito“, von The New Raemon oder „El que val la pena de veritat“ von La Casa Azul, in dem ebenfalls „Stop Motion“ zum Einsatz kam. Beim Titel „¿Aha han vuelto? von Lori Meyers hingegen erscheinen kleine Illustrationen über dem Bild, während für „Shadow“ von Marc Salvador eine Mischung aus realen und gezeichneten Bildern gewählt wurde. Besonders erwähnenswert ist der Videoclip von „Bigoti vermell“ von Anna Roig i l’Ombre de Ton Chien, in dem alles – von der Dekoration bis hin zu den Kostümen – voller Illustrationen und Ausschneidefiguren steckt. Solche Videoclips sind zwar wahre Kostbarkeiten, aber die Regisseurin bestätigt, dass ein Großteil der Arbeit aus reiner Liebe zur Kunst gemacht wird, da „die Budgets in der Regel sehr knapp bemessen sind und die investierte Zeit nicht abdecken können“.

Durch die Verbindung von Illustration und Musik sind bereits vor A-ha bemerkenswerte Videolips entstanden. Denken wir nur an den Animationsfilm „Yellow Submarine“ (1968) von The Beatles oder „The wall“ (1982) von Pink Floyd. Die Dire Straits mit ihrem „Money for nothing“ (1985) und Queen mit „Inuendo“ (1991) erschufen audiovisuelle animierte Kunststücke mit Live-Bildern der Band.

„Do the evolution“ (1998) von Pearl Jam war für einen Grammy in der Kategorie Bester Musik-Videoclip nominiert. Diese Arbeit ist eine Kritik an allen Technologie-Junkies, ein Thema, das auch in späteren Videoclips immer wieder aufgegriffen wurde, wie zum Beispiel in dem erstaunlichen „Are you lost in the world like me?“ (2016) von Moby & The Void Pacific Choir, in dem ein Junge an der Geichgültigkeit der Leute verzweifelt, die nur mit ihren Handys beschäftigt sind. Ganz das Gegenteil zeigt „Telefonía“ (2017) von Jorge Drexler, ein Videlyric, das dieses Kommunikationsmittel preist.

 

In der Aktualität ist Coldplay eine der Gruppen, die zur Illustration greifen, wie im Videocomic „Hurts like heaven“ (2012), „Ink“ (2014) oder im Videolyric „Something just like this“ (2017).

Hinsichtlich der Originalität allerdings muss unbedingt „Moderat“ (2013) hervorgehoben werden, ein hypnotisches Video von Bad Kingdom, in dem blaue Linien vorherrschen, oder „Cell song“ (2014) von Fanfarlo, das an die Illustrationen der Bücher aus unserer Studentenzeit erinnert. Als Poesieliebhaber möchten wir natürlich „My favourite music“ (2017) hervorheben, eine Art erzählte Geschichte, in der John Carpenter erklärt, wie die Musik sein Leben seit seiner Kindheit beeinflusst hat. Dabei werden Bilder im kubistischen Stil gezeigt. Ebenfalls erwähnenswert ist das düstere Panorama des wunderbaren „The raven that refused to sing“ (2013) von Steven Wilson. All dies sind kleine Kunstwerke, die nicht für die Ohren, sondern auch für die Augen ein Genuss sind.