Scott Savarie hat traditionelles Grafikdesign studiert und hatte eigentlich nie vor, im digitalen Bereich zu arbeiten. Aber nach einem Praktikum in der Niederlassung von Edenspiekermann in Amsterdam stellte er fest, dass ihm das digitale Design gut gefiel, und er sein Wissen dazu vertiefen wollte. Er zog nach Berlin, um dort mehr über Design und Programmieren zu lernen, und später weiter nach San Francisco, wo er mit dem Designteam von Facebook arbeitete.
Mit seiner eigenen App, Napkin, konnte er seine Fähigkeiten in der Entwicklung und im Design kombinieren und zudem mit dem Betrieb und der Werbung für seine eigene App neue Wege beschreiten.
Scott ist derzeit der leitende Designer von InVision Studio, dem neuesten Design- und Prototypenentwicklungstool der Digital Product Design Plattform, die zwar in New York gegründet wurde, aber ohne Büros auskommt und von deren 800 (!) Mitarbeitern fast 100 % remote arbeiten. Die InVision Software wird von Unternehmen wie Amazon, Netflix oder Nike verwendet und ermöglicht es Produktdesignern, digitale Prototypen zu erstellen, die mit anderen geteilt werden können. So haben Agenturen und Unternehmen die volle Kontrolle über jeden Schritt im Produktdesignprozess.
Wir hatten die Möglichkeit, mit Scott über seinen Wechsel vom Grafikdesign zum digitalen Design und Programmieren zu sprechen, sowie darüber, wie sich die Rolle von Designern in der heutigen Welt ändert, und wie ein Unternehmen mit fast ausschließlich remote arbeitenden Angestellten funktioniert.
Sie haben eigentlich klassisches Grafikdesign studiert – wie kam es, dass Sie zu digitalen Projekten und Unternehmen gewechselt haben?
Es ist einfach so passiert! Ich hatte das nie wirklich geplant. In der Schule machte mir Programmieren Spaß. Ich lernte Action Script 2 und die Grundlagen von HTML und CSS. Aber auch die Druckarbeit gefiel mir damals sehr. Ich erstellte viele Konzertposter und dachte immer, dass der Bereich des Verpackungsdesigns für mich interessant wäre. Als ich anfing zu arbeiten, bekam ich meist Aufträge im digitalen Bereich, wie z. B. das Erstellen von Websites, und später dann auch das Entwickeln einer App. Ich habe mich daran einfach angepasst und bin dadurch immer mehr ins Programmieren reingekommen.
Wie sehen Sie die aktuelle Situation des (digitalen) Designs und die Art und Weise, wie Designer verschiedene Design- und Prototypenentwicklungstools verwenden? Ich habe das Gefühl, dass es gerade immer mehr solcher Tools für Unternehmen und Designer gibt, aber man weiß nicht wirklich, ob es zu viele sind oder zu wenige…?
Es sind plötzlich massenhaft Tools aufgekommen, die jeweils auf ein spezifisches Teil im Designprozess ausgerichtet sind, aber kein einziges Tool, das man vom Anfang bis zum Ende des gesamten Prozesses verwenden kann. Man könnte sein Design mit einem Tool beginnen, dann ein anderes für den interaktiven Prototypen verwenden, ein drittes zum Teilen und Feedback einholen, wieder ein anderes zur Versionsverwaltung und schließlich eines, um seine Arbeit an die Entwickler weiterzugeben. Diese Vielzahl an Tools hat meiner Ansicht nach Vor- und Nachteile. Das Gute daran ist, dass jedes der Tools für einen begrenzten Bereich spezialisiert ist und die Teams somit etwas erstellen können, das sich sehr gut für die Lösung einer kleinen Anzahl an Anwendungsfällen eignet. Der Nachteil davon ist, dass die Teams unzählige Abonnements und Lizenzen benötigen, und der Workflow immer wieder unterbrochen wird.
Das Design wird immer mehr zu einem Tool für die Geschäftsentwicklung von Unternehmen – was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?
Für mich ist der wichtigste Aspekt beim Designen, etwas Sinnvolles zu erstellen, egal, ob man einen Stuhl, ein Haus oder eine Funktion für ein digitales Produkt designt. Wenn etwas sinnvoll ist, gut läuft, eine Funktion hat, dann verwenden die Leute das Produkt. Heutzutage werden immer häufiger Designer in den Entscheidungsfindungsprozess miteinbezogen, aber ich denke, dass eine Art „Design“ schon immer auf der Ebene der Geschäftsentwicklung stattgefunden hat. Vielleicht eben nur nicht so effektiv, wie es hätte sein können. Ich denke, Designer verfügen heute über effektive Methoden zur Problemanalyse, -lösung und zur richtigen Fragestellung auf einer Ebene, die früher als nicht so wichtig galt. Die Ergebnisse designorientierter Unternehmen sprechen für sich. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, warum Unternehmen, die eigentlich nicht designbasiert arbeiten, diese Idee auch für sich entdeckt haben.
InVision ist eines der größten Design- und Prototypenentwicklungstools – warum ist es Ihrer Meinung nach so erfolgreich?
InVision war einer der Vorreiter auf diesem Gebiet. Die Gründer haben eine Lücke im Workflow für Designer festgestellt und ein nützliches Produkt entwickelt, um diese zu schließen. Inzwischen hat das Unternehmen dank seines Blogs, Events und der Design-Inhalte, die es veröffentlicht, eine wichtige Rolle in der Design-Community eingenommen. Dieses Unternehmen lebt und atmet Design, und ich denke, die Design-Community spürt das.
Erzählen Sie uns etwas über Ihre aktuelle Rolle. Ich kann mir vorstellen, dass Sie als leitender Designer für InVision Studio viele unterschiedliche Funktionen erfüllen.
Ich kam als Projektmanager ins Team, aber als wir mit der Arbeit an InVision Studio begannen, mussten ich sowie 5 weitere Personen die Rollen wechseln. Anfangs war meine Rolle im Team sehr vielfältig. Ich erstellte Vision-Decks, plante Sprints, schrieb Anforderungen, designte und programmierte Funktionen. Mit der Erweiterung des Teams wurden unsere Rollen etwas genauer definiert. Es kamen neue PMs hinzu, sodass ich mich mehr aufs Design konzentrieren konnte. Das Einzigartige an der Arbeit an Studio ist jedoch, dass eigentlich die Designer unsere Kunden sind. Hinsichtlich der Funktionsplanung sind wir daher immer noch mit der Entscheidung über die nächsten Schritte und dem Erarbeiten der Anforderungen beschäftigt. Und ich habe auch noch ziemlich viel Programmierarbeit vor mir. Die Arbeit ist sehr vielfältig, und ich mag das!
Wie schafft es ein großes Unternehmen wie InVision, sich mit einem zum größten Teil remote arbeitenden Team zu organisieren?
Da das Unternehmen schon seit Beginn remote arbeitet, liegt ihm das sozusagen in den Genen. Statt Meetings abzuhalten, mache ich häufig ein Video und integriere es in ein Dokument, sodass die Mitarbeiter es ansehen können, wenn sie Zeit haben. Alle achten ziemlich gut darauf, wann synchron und wann asynchron gearbeitet werden muss.
Glauben Sie, dass Sie als Designer, der Designtools verwendet (und eines entwickelt hat), einen Vorteil bei der Arbeit für InVision gegenüber Personen mit rein technischem Hintergrund haben?
Wir haben ein paar Designer mit stark technischem Hintergrund im Team. In den vergangenen Jahren habe ich festgestellt, wie wichtig dies ist, angesichts des Tools, das wir entwickeln. Wir alle haben derzeitige Funktionen in Studio programmiert oder High-Fidelity-Prototypen erstellt, um unsere Ideen zu prüfen, bevor sie in die Produktion gingen. Ich glaube, wenn es nicht gerade wirklich um den reinen Code geht, liegen die Vorteile darin, wie wir unsere Arbeit durchführen. Wir verstehen, was schwierig umzusetzen ist, und können häufig Kompromisse für einen bestimmten Ansatz lange im Voraus beurteilen.
Warum und wie haben Sie Napkin entwickelt?
Als ich bei Facebook arbeitete, organisierten sie dort einen Kurs mit dem Titel „iOS für Designer“, bei dem wir lernen sollten, Prototypen für iOS-Apps unter Verwendung von Objective-C zu erstellen. Nachdem der Kurs vorbei war, wollte ich ein Nebenprojekt durchführen, um selbst weiter zu lernen. Mein Kursleiter, Timothy Lee, hatte erwähnt, dass viele herkömmliche Desktop-Tools heutzutage auf Smartphones oder Tablets erhältlich sind, und es seltsam sei, dass dieser Wechsel nicht auch für Design-Tools erfolgt ist. Das hat mich dazu gebracht, über Napkin nachzudenken. Wenn Sie mich fragen, ich dachte nie, dass es sich hier um eine verpasste Chance im Bereich der Design-Tools handelte. Ich wollte nur ein zusätzliches Projekt, um besser programmieren zu lernen!
Es muss eine ziemliche Veränderung in der Arbeitsweise für Sie gewesen sein – Sie kamen von Facebook, wo Sie auf einem großen Gelände mit vielen Kollegen zusammengearbeitet haben, und jetzt arbeiten Sie remote für sich. Was sind für Sie die größten Vor- und Nachteil daran, aus der Ferne zu arbeiten?
Ich liebe es. Für mich hat es fast nur Vorteile. Ich mag es, reisen und dabei arbeiten zu können. Ich arbeite gern immer dort, wo ich mich danach fühle. Der einzige Nachteil ist, dass man weniger vom sozialen Aspekt der Arbeit hat. Deshalb treffen wir uns ein paar Mal im Jahr persönlich. Außerdem bin ich dadurch aktiver darin geworden, außerhalb der Arbeit soziale Kontakte zu knüpfen.
Was inspiriert Sie und was tun Sie dafür, sich inspirieren zu lassen? Verfolgen Sie immer noch die aktuellen Designtrends?
Ich tue eigentlich nichts Besonderes. Ich glaube, Design ist bereits so sehr ein Bestandteil meines Lebens, dass ich mich die ganze Zeit damit befasse. Das wirkt sich darauf aus, wie mein Zuhause gestaltet ist, wie ich mich anziehe, und was ich kaufe. Catie (meine Partnerin) und ich haben unser Zuhause erst nach und nach dekoriert, da wir eine spezielle Vorstellung davon haben, wie es aussehen soll, und wir möchten lieber sparen und schöne Dinge erwerben, als aus einer Notwendigkeit heraus irgendetwas kaufen. Bezüglich der Kleidung informiere ich mich normalerweise darüber, wo etwas hergestellt wurde und wie nachhaltig die Kleidung produziert wurde. Ich kaufe eigentlich nichts, ohne auf das Design zu achten. Das gilt selbst für so kleine Dinge wie die Zahnpasta oder eine Flasche Bier. Ich will damit nicht sagen, dass ich nur gut designte Zahnpasta kaufe, das wäre absurd. Aber ich freue mich über eine Tube von Marvis, als hätte mir jemand damit ein Geschenk gemacht.