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Wir erwähnten ihn bereits in unserem Artikel über die besten europäischen Kalligrafie-Workshops. Der renommierte Künstler Julien Chazal arbeitete bereits für marktführende Unternehmen, doch das ist nicht alles. In jüngster Zeit erkundet er neue Horizonte in puncto Kalligrafie, widmet sich insbesondere den künstlerischen Aspekten und kämpft gleichzeitig gegen den Analphabetismus. Begegnung mit einem namhaften Künstler und Vorsitzenden der Sparte Kalligrafie des M.O.F.
Wie sind Sie zur Kalligrafie gekommen, und was hat Sie dazu bewegt, diese Kunst zu Ihrem Beruf zu machen?
Ich habe an der Kunsthochschule „École des Beaux-Arts“ in Nancy studiert. Abstrakte Kunst war dort omnipräsent, ich vermisste jedoch den technischen Unterbau. Während eines Workshops, den ich ursprünglich belegt hatte, um mir Grundkenntnisse in Sachen Layout anzueignen, begegnete ich einem umtriebigen Dozenten, ein sehr bedeutender Kalligraf, der mir eine ganz neue, vielschichtige Welt eröffnete: Ich entdeckte die malerische und künstlerische Vielfalt, die Pigmente … Im Gegensatz zu meinen Studienfächern an der École des Beaux-Arts war Kalligrafie präzise, und das gefiel mir. Bei dieser Kunst wird die Arbeit honoriert, genau wie bei den Kunsthandwerkern. Aus dieser Leidenschaft einen Beruf zu machen, war alles andere als einfach. Ich zog nach Paris und gab schon sehr bald die ersten Kurse.
Später arbeitete ich für Kommunikationsunternehmen, Verlage, die Medien … Durch Bekanntschaften und die Arbeit wurden mir sehr interessante Projekte angeboten, und schließlich konnte ich von meiner Passion leben. Die Luxusbranche ist für Qualität sehr empfänglich und somit auch für Kalligrafie: Aus diesem Grund besuchte ich wiederholt die Pariser Fashion Week, um mir zusätzliche geschäftliche Möglichkeiten zu erschließen. Westliche Kalligrafie findet erst seit kurzer Zeit Anerkennung, deshalb muss man bei den Unternehmen Begehrlichkeiten wecken, damit sie diese auch einsetzen.
Was schreiben Sie nur zum eigenen Vergnügen, ohne konkreten Auftrag?
Früher hatte ich viele verschiedene Projekte. Heute wähle ich gezielt aus, damit ich Dinge umsetzen kann, an denen mir wirklich etwas liegt. Ich probiere auch viel aus in Hinblick auf einen möglichen kommerziellen Einsatz: Postkarten, Steingravuren, die Verknüpfung von Herbarien mit Kalligrafie usw. Ich spiele herum. In Zukunft werde ich vermutlich auch noch stärker in Richtung Kunst arbeiten. Insbesondere die großen Formate haben es mir angetan. Kalligrafie ist per se eng mit dem Körper verbunden, ein interessanter Aspekt.
Ansonsten setze ich mich aus rein persönlichem Vergnügen mit neuen Materialien, wie Pergament, Glas und Stein, auseinander. Ich versuche mich an neuen Medien, neuen Pigmenten, neuen Klebstoffen … Auch mit dem Porträtieren habe ich wieder begonnen, als eine Mischung aus Zeichnung und Kalligrafie, und meine Werke reichen von Street-Art bis zu sehr viel intimeren Arbeiten. Vor allem das Gravieren von Naturmaterialien wie Stein, Holz usw. gefällt mir ausnehmend gut. Es gibt noch so vieles, was ich aus Zeitgründen noch nicht machen konnte!
Haben Sie bereits alle Arten von Kalligrafie ausprobiert? Sie haben sich auf westliche Kalligrafie spezialisiert. Warum?
Es gibt drei Arten der Kalligrafie: asiatische, westliche und arabische. Ich habe alle ausprobiert, aber die westliche Kalligrafie steht für meine Kultur, daher habe ich mich dieser Art ganz selbstverständlich zugewendet. Diese Kunstform ist nicht sehr bekannt, die meisten Menschen begreifen sie erst richtig, wenn sie mittelalterliche Buchmalereien sehen. Buchstaben gibt es überall, sie werden jedoch nicht wirklich wahrgenommen, obwohl sie Teil der grafischen Kunst sind: von den Werken aus dem Mittelalter, die mit Inschriften übersät sind, bis hin zu Gemälden von Picasso, Klimt oder Mucha.
In Asien genießt Kalligrafie als eigenständige, vollwertige Kunstform ein hohes Ansehen, in Europa hingegen wird zwischen Form und Inhalt differenziert. Die Werke müssen eine echte Bedeutung, einen Sinngehalt haben und dürfen nicht einfach schön sein oder Spaß machen, was ich sehr bedauere. Selbst wenn ich an Aufträgen arbeite, sei es für ein Sandwich oder ein Parfüm, muss ich ein durchdachtes, begründetes Konzept vorlegen.
Haben Sie Lieblingswerkzeuge? Mit welchen Pinseln oder Federn arbeiten Sie besonders gern? Und mit welchem Papier?
Ich habe ein gut gefülltes Atelier, und das ist auch eines der Dinge, die ich an der Kalligrafie so mag: die Tintenbehälter, Federhalter … All dies bildet einen Gegensatz zur Technik, passt aber paradoxerweise perfekt dazu. Kalligrafie ist eine Lebensweise. Alles, was Spuren auf einem Trägermaterial hinterlässt, kann zu Kalligrafie werden, es ist im Grunde ganz primitiv. Überall auf der Welt wird Stein graviert, Papier mit einer metallischen Feder bearbeitet. Eine Ausnahme bildet hier nur Asien, dort wird eher auf Absorption gesetzt. Asiaten liebkosen das Papier, Europäer sind ungestümer.
Was meine Lieblingswerkzeuge angeht: Das hängt vom jeweiligen Augenblick ab und davon, was ich gerade ausdrücken möchte. Flach- und Spitzpinsel interessieren mich besonders, denn das Empfinden ist anders als mit Metall. Ansonsten verwende ich verschiedene industriell gefertigte Standardpapiersorten, manchmal farbige Papiere, spezielles Gravurpapier oder – als kleiner Luxus – Papiere mit wattiger Körnung. Es hängt ganz davon ab, was ich ausdrücken und welches Ergebnis ich erzielen möchte.
Welches Wort schreiben Sie am liebsten? Und welches mögen Sie am wenigsten?
Um die Wahrheit zu sagen, übe ich die Kunst des Schönschreibens nun schon sehr lange aus und bin das Schreiben ein wenig leid. Dennoch kann ich zwei Wörter nennen, die mir besser gefallen als andere. Da ist einmal „Pangramm“. So nennt man möglichst kurze Sätze, in denen alle Buchstaben des Alphabets enthalten sind. Kalligrafie-Anfänger können auf diese Weise alle Buchstaben schreiben und haben Spaß dabei. Auch „Petrichor“ mag ich sehr, es bezeichnet den speziellen Geruch von Steinen nach dem Regen. Zu meiner liebsten Gravur gehört außerdem „fuck up“, nicht gerade politisch korrekt, aber so kann ich Dampf ablassen. Einfältige, vorhersehbare Botschaften mag ich hingegen überhaupt nicht.
Wie betrachten Sie Ihre Arbeit im Digitalzeitalter? Als Quelle neuer Möglichkeiten und Entdeckungen oder als Verpflichtung?
Dieses Thema gewinnt immer mehr an Bedeutung: Die Diskrepanz zwischen dem Schreiben mit der Hand und dem Erzeugen von Handschriften-Fonts mit dem Computer. Die Gesellschaft stellt heute etwas für uns bereit, was nicht gut ist. Ein bedeutender Kalligraf sagte einmal: „Kalligrafieren bedeutet, der Mittelmäßigkeit die Stirn zu bieten“. Wir wachsen in einer zunehmend technisierten Umgebung heran, jeder besitzt einen Computer, aber allein deshalb kann man noch nichts Schönes schaffen. Ich arbeite mit etlichen Kunsthandwerkern im 11. Arrondissement von Paris zusammen, der Heimat vieler Handwerker. Früher wurden hier ganz unterschiedliche Möbel gefertigt. Heute, im Zeitalter von IKEA, findet man dort nur noch Kunsthandwerker im Luxussegment.
Genau das Gleiche passiert mit der Kalligrafie. Die Auseinandersetzung mit den digitalen Technologien gehört zu den Zwängen des modernen Lebens, dennoch dürfen die Kunsthochschulen nicht zu einer Art Notbehelf verkommen und sich allein auf die digitalen Medien fokussieren. Ich engagiere mich in einem Projekt zur Bekämpfung des funktionalen Analphabetismus in Französisch-Guayana, in den Schulen herrscht große Frustration, da die Lehrer selbst nicht schreiben können und die Klassen deshalb mit Computern ausgestattet werden. Das ist eine einfache, konsumorientierte Lösung, bei der im Vorbeigehen ein elementarer Bestandteil der Sprache verloren geht. Ich habe allerdings festgestellt, dass man in 5 Lektionen seine Handschrift ändern kann. Diesen Aufwand sollte man also betreiben, das ist ein wesentlicher Bestandteil der Bildung.
Hilft Kalligrafie dabei, Wörter im Kopf besser formulieren zu können? Sehen Sie darin einen therapeutischen Ansatz?
Dieses therapeutische Konzept ist für den funktionalen Analphabetismus sehr wichtig. Bei der Kalligrafie geht es um individuelle Anpassung und Nachbildung. Wenn man einem Schüler erklärt, dass man ihm das Schreiben falsch beigebracht hat, dass er keine Schuld trägt und ihn lehrt, wie es richtig geht und er dabei Freude empfinden kann, dann werden ihm ganz viele Hemmungen genommen. Ich selbst habe aus Frust heraus mit Kalligrafie angefangen, da ich mich mit dem Schreiben sehr schwer tat: Deshalb habe ich mich mit der Form auseinandergesetzt, um darüber zu einer guten Handschrift zu gelangen. Im Mittelalter war Schreiben Aufgabe der Mönche, und aufgeschrieben wurden nur Texte, denen ein Wert beigemessen wurde: Gesetze und heilige Schriften. Ein klarer Beweis dafür, dass nur Wichtiges geschrieben wird, weshalb Schreiben immer mit Macht verknüpft ist. Wer nicht schreiben kann, dem geht etwas verloren.
Sie waren viel für die Luxusindustrie tätig. Mit welchen Unternehmen möchten Sie gern zusammenarbeiten?
Ich möchte mich gern in Richtung Parfüm entwickeln, ganz gleich welche Marke. Das Luxussegment interessiert mich, da man die Anforderungen nach oben schrauben und wirklich Außergewöhnliches schaffen kann.
Sie geben auch Kalligrafie-Unterricht. Welche drei wichtigen Ratschläge würden Sie einem Anfänger geben?
Seien Sie neugierig, begeisterungsfähig und voller Hingabe. Die Technik kommt später.
Wie sehen Sie die Zukunft der Kalligrafie?
Die künftige Entwicklung hängt von den Menschen ab. Dank des PCs konnten Kontakte geknüpft und Verbindungen geschaffen werden, es ist eine Art internationales Angebot entstanden. Innerhalb von zehn Jahren haben die Russen ein beeindruckendes Niveau erreicht, ebenso die Amerikaner. Es ist eine wahre Wiederentdeckung der Kalligrafie im Gange, richtungsweisend für die Gesellschaft. Es gilt, sich unaufhörlich neu zu erfinden. Kalligrafie ist eine althergebrachte Technik, und die Akteure auf diesem Gebiet müssen ihr den Weg in die Zukunft weisen.
Und welchen Projekten oder Wünschen werden Sie in der Zukunft nachgehen?
Ich habe meine Zusammenarbeit mit vielen Agenturen beendet. Ich möchte mich vermehrt der Kunst zuwenden, der Welt der Leinwände, der Pigmente und der großen Formate. Ich plane, ins Ausland zu ziehen und möchte gerne Neues ausprobieren, außergewöhnliche Projekte in Angriff nehmen: größer, schöner, prestigeträchtiger.