Das digitale Format wird den Druck nie vollständig ersetzen. Denn dieser ist in vielen Fällen einfach unverzichtbar und bringt häufig einen zusätzlichen emotionalen Wert mit sich, da er tatsächlich greif- und spürbar ist. Es ist an der Zeit, die Gegenüberstellung von Print- und Online-Medien als Rivalen aus dem Weg zu räumen: Das Marketing sorgt bereits für eine Vielfalt an Erfahrungen, bei denen analoges und digitales Format miteinander verschmelzen.
„Wer seine digitalen Fotos nicht ausdruckt wird sie verlieren!“ Das ist die Botschaft, die Vinton Cerf, einer der Wegbereiter des Internets, immer wieder betont. Er kam zu diesem Schluss, nachdem er die Flüchtigkeit digitaler Daten feststellte. Die Tonbänder aus den 70er-Jahren haben sich größtenteils entmagnetisiert. Die Floppy-Disks der 90er-Jahre sind nur noch mit Computern lesbar, die heute keiner mehr besitzt. Die mit den Anfangsversionen von Word geschriebenen Dokumente sind mit den neuesten Versionen nicht mehr kompatibel.
Cerf, der für Google tätig ist, ist alles andere als ein Feind der digitalen Entwicklung. Es sagt einiges aus, dass einer der Schöpfer des Internets – der einzigen Technologie, die in der Lage war, die jahrhundertelange Vorherrschaft der Gutenberg’schen Erfindung in eine Krise zu stürzen – jetzt wieder all seine Hoffnungen in die Printmedien setzt. Die Problematik der „Vergesslichkeit“ der digitalen Medien ist nur einer von vielen Gründen, warum die Tage des Drucks noch nicht gezählt sind.
Die digitale Revolution hat den Druck kurzerhand entthront. Das gilt auch für die Welt des Marketings, denn heute findet die Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbrauchern über tausende digitale Kanäle statt. Trotzdem basieren auch in diesem Bereich weiterhin zahlreiche Produkte auf Papier und Tinte, die sich nur schwer ersetzen lassen: von der farbigen Verpackung eines Hamburgers bis hin zur ansprechend designten Visitenkarte.
Im Jahre 1975 prophezeite die Zeitschrift „Businessweek“, dass die Printmedien binnen der 90er-Jahre aussterben würden. Stattdessen produzierte die Menschheit 2016 immer noch eine halbe Billion Tonnen Papier. Im Gegensatz zu digitalen Produkten funktionieren Drucksachen auch ohne Elektrizität; es sind keine Geräte oder technischen Kundendienste nötig.
Doch was sie wirklich einzigartig macht ist die emotionale Bindung, die nur durch das physische und haptische Erlebnis entstehen kann. Laut einer Studie der Kampagne „Paper Because“, einer Initiative des kanadischen Papierherstellers Domtar, bevorzugen Studenten gedruckte Bücher anstelle von E-Books. Vielleicht sind es die Interaktion mit einem dreidimensionalen Objekt, das Unterstreichen und von Hand Notizen machen oder das sich daran erinnern, auf welcher Seite oder bei welcher Dicke der Seiten ein bestimmter Satz geschrieben steht, die gedruckte Bücher auf kognitiver Ebene unersetzbar machen.
Diese Erkenntnis sollte auch im Marketing berücksichtigt werden. In Zeiten, in denen wir mit dutzenden Werbemails, Posts in den sozialen Medien und Benachrichtigungen auf dem Smartphone bombardiert werden, zieht ein Brief, ein Flyer oder ein Katalog die Aufmerksamkeit der Konsumenten viel stärker auf sich: 81% der Verbraucher schenken diesen viel mehr Beachtung als jedem Banner, so die Ergebnisse von „Paper Because“. Der Grund ist derselbe, aus dem eine Glückwunschkarte viel mehr wert ist als eine Nachricht in WhatsApp oder eine gelungene Visitenkarte eine stärkere Wirkung hat als eine E-Mail.
Doch vielleicht liegt der Fehler in der Annahme, dass Print- und Online-Medien unversöhnliche Erzfeinde seien. „Wir stecken heute mitten in der nächsten Kommunikationsrevolution, in der es keine Grenzen mehr zwischen den analogen und digitalen Medien gibt: Das bietet außerordentliche Möglichkeiten“, bestätigt die Studie „Der Druck in der digitalen Welt. 2017“, die von dem Beratungsunternehmen St. Joseph Communications durchgeführt wurde und zahlreiche Beispiele dieses Konzepts zusammenfasst.
Darunter sind einige einfache und doch geniale Ideen, wie eine Schachtel des Happy Meal von McDonald’s die sich falten und in eine Brille verwandeln lässt, die einem mit seinem Smartphone ein echtes Virtual-Reality-Erlebnis bietet. Oder eine Schachtel von KFC, die eine Batterie enthält, mit der man während des Essens sein Handy aufladen kann.
Doch Technologien wie QR-Codes oder das „clickable Paper“ (ein AI-System, mit dem man über eine Mobile-App ein gedrucktes Dokument „anklicken“ kann) ermöglichen eine noch viel engere Verbindung zwischen Papier und Internet. Wenn man diese Systeme mit erweiterter Realität paart, lassen sich außergewöhnliche Immersive-Marketing-Erfahrungen schaffen.
Bei einer Ausgabe der Zeitschrift „Garage“ beispielsweise begannen die Personen auf dem Cover, sich zu bewegen, und unsichtbare Inhalte wurden zugänglich, wenn man sein Smartphone mit Snapchat auf das Cover richtet. Die Bekleidungsmarke Lacoste entwickelte ein Buch über die Geschichte des Tennis, das Videos von historischen Matches zeigt, wenn man die unternehmenseigene App darauf richtet. Mit der App der belgischen Record Bank kann man sein Handy auf ein Auto (auf einem Plakat, einer Werbezeitschrift etc.) richten und erfährt sofort, wie hoch der Kredit ist, den man für den Kauf dieses Wagens erhalten würde.
Die digitale Technologie ermöglicht außerdem etwas, das bisher oft umständlich und teuer war: die Personalisierung.
Durch den Print variabler Daten können die Inhalte eines Dokuments während des Drucks basierend auf den Daten aus einer Database geändert werden. So kann man beispielsweise einen Werbeflyer für eine Versicherung mit dem Namen des Kunden und dem ihm persönlich angebotenen Preis erstellen – alles basierend auf seinem Profil. Die Airline „Tam Airlines“ nutzte dieses Konzept zu Ehren des Jubiläums ihrer Strecke Mailand-São Paulo bis an seine Grenzen aus: Sie analysierte die Facebook Profile aller Passagiere und bot ihnen eine personalisierte Zeitschrift, die ihren eigenen Namen, ihr Foto und ausgewählte Artikel zu ihren Lieblingsthemen enthielt.
Eine weitere Option zur Personalisierung ist das Einfügen von RFID-Sensoren in das Papier. Diese passiven Kreisläufe ermöglichen die Erkennung von Objekten, wenn sich der darüber liegende Sensor in der Nähe einer entsprechenden Antenne befindet. Das englische Tierheim „Battersea Dogs & Cats Home“ integrierte diese Technik in seine Flyer, die in einer britischen Stadt ausgeteilt wurden. Wenn eine Person mit einem Flyer an den in der Stadt verteilten Werbebildschirmen vorbei ging, erkannten die Antennen diese und der Bildschirm zeigte einen niedlichen Hund, der ihr überall hin zu folgen schien.
Weitere nie dagewesene Möglichkeiten eröffnete die Einführung der „intelligenten Tinte“. So machte zum Beispiel Audi seine Printwerbung durch den Einsatz von leitfähiger Tinte „anklickbar“. Dazu setzt der Nutzer sein Smartphone auf das Papier und öffnet eine App, die die Fahrerkabine eines Autos simuliert. Die Simulation lässt sich durch Bewegen der Finger über das Papier steuern. Opel nutzte reflektierende Tinte, um damit Abbildungen einer nächtlichen Straße mit gefährlichen Elementen (wie beispielsweise einem Tier, das die Straße überquert) zu drucken, die nur sichtbar werden, wenn man die Seite mit seinem Smartphone mit aktiviertem Blitz fotografiert. Andere Unternehmen haben dieses Konzept sogar noch weiter ausgedehnt: So wurde beispielsweise Tinte auf Kaffeebasis entwickelt, die sich im Wasser auflöst und Samen enthält, die man dann einsähen kann, oder auch Tinte, die nur sichtbar wird, wenn sie mit Salz in Berührung kommt.
Es scheint, als stünde den Printmedien eine leuchtende Zukunft bevor; und ihr engster Verbündeter könnte genau in dem bestehen, was immer als ihr größter Feind dargestellt wird: die digitale Welt.