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Die von den europäischen Tageszeitungen verwendeten Schriftarten haben in den vergangenen Jahren einen starken Wandel erlebt, der mit dem Aufkommen der digitalen Kanäle und dem Bedürfnis, sich von den anderen Tageszeitungen abzuheben, einhergeht. Die Entscheidung einer Zeitung für eine bestimmte Schriftart ist immer von doppelter Bedeutung: Einerseits soll sie das Lesen erleichtern und wenig Platz einnehmen und andererseits soll sie zu einem vertrauten und wiedererkennbaren Element für den Leser werden.
Und genau deshalb beauftragen die bekanntesten europäischen Tageszeitungen regelmäßig Grafikbüros von internationalem Ruf mit der Entwicklung neuer Schriftarten. Vorrangiges Ziel dabei ist es, die Leser an sich zu binden und ihr Vertrauen zu gewinnen. Um es mit den Worten von Mario García, Experte für Zeitungsdesign und Lehrbeauftragter an der Columbia Journalism School, zu sagen: „Die Rolle der Schriftart und des Designs besteht darin, das Gefühl zu vermitteln, sich an einem vertrauenswürdigen Ort zu befinden.“ In Zeiten der Fake News gar keine leichte Aufgabe.
England: Die Heimat von Times New Roman
Sie ist berühmt dafür, anno 1931 eine der weltweit bekanntesten Schriftarten, die Times New Roman, hervorgebracht zu haben. In den vergangenen Jahren hat die angelsächsische Tageszeitung The Times verschiedene Varianten dieser Serifenschrift eingeführt, um sie moderner und persönlicher zu machen. Die letzte, 2006 von Brody Associates veröffentlichte Version ist Times Modern, die speziell für kleinere Texte entworfen wurde und sich durch abgerundete Serifen mit einem Winkel von 45 Grad auszeichnet. Das Designstudio Monotype hat diese Schriftart anschließend um die beiden Schriftstärken UltraLight und ExtraBold und um einige kursive Varianten erweitert.
Im Zuge einer umfangreichen grafischen Neugestaltung des Logos, der Website und der Verkleinerung des Formats auf Tabloid hatte auch die berühmte britische Zeitung The Guardian ein Remake seiner in Titeln verwendeten Schriftarten angekündigt. Der neue Font mit dem Namen Guardian Headline entstand aus der Notwendigkeit, die Größe der Überschriften zu reduzieren, gleichzeitig den einmaligen und individuellen Stil zu bewahren und bessere Lesbarkeit auf den digitalen Plattformen zu garantieren. Das Ergebnis ist ein solides und wirkungsvolles Lettering.
Italien: zwischen Modernität und Tradition
Auch in Italien haben einige der bekanntesten Tageszeitungen die Entwicklung von speziellen Schriftarten für die eigenen Seiten in Auftrag gegeben. Da wäre zum Beispiel die Sole24 Ore, die sich 2010 an Luciano Perondi gewandt hat, um eine neue, leichter lesbare Schriftart zu erarbeiten. Das Ergebnis Sole Serif ist von den venezianischen Kalligrafien des 16. Jahrhunderts und der Welt des Verlagswesens inspiriert, gleichzeitig aber auch modern und auf das Wesentliche konzentriert.
2018 beschloss die berühmte Wirtschaftszeitung, ihrer Sole Serif die neue Sole Sans an die Seite zu stellen. Diese neue Schriftart mit linearem Charakter wurde entwickelt, um Grafiken, Schemata und Tabellen mit kleinen Buchstaben und Zeichen sowohl in der Papierversion als auch auf den Internetkanälen noch besser lesbar zu machen. Auch diese Schriftart enthält antike Verweise auf die Lapidarschrift des englischen Neoklassizismus bis hin zu den ersten Sans Serif aus dem England des 19. Jahrhunderts.
Im Vergleich zu Sole Serif ist sie aufrechter und besitzt geschlossenere Enden.2011 hat der Corriere della Sera sein Design mit zwei neuen Schriftarten aufgefrischt: Brera für den Eröffnungstitel von Seite Eins, die sich durch klare Linien und eine offene Geometrie auszeichnet, um eine Verzerrung der Texte zu begrenzen. Und für die anderen Überschriften die Serifenschrift Solferino, die den Seiten große Eleganz verleiht. Eine ästhetische und gleichzeitig funktionale Entscheidung, mit der die Zeitungsredaktion die Lesbarkeit durch einen größeren Zeilenabstand und die höhere Kontrastwiedergabe beim Druck verbessern konnte.
Spanien: Auf der Suche nach Klarheit und Persönlichkeit
2007 hat El País, die am weitesten verbreitete Tageszeitung in Spanien, den berühmten portugiesischen Typographen Mario Feliciano mit dem Remake ihrer Buchstaben betraut. Der Übergang von Schwarz-Weiß auf Farbe und die technologischen Innovationen erforderten ein für die neuen Druckmethoden und die Papierart besser geeignetes Lettering. Deshalb wurde Feliciano von der Zeitungsleitung gebeten, die alte Times durch eine moderne Schriftart zu ersetzen, ohne jedoch zu sehr mit der Vergangenheit zu brechen. Und so wurde Majerit geboren, eine Serifenschrift von klassischem und neutralem Design, aber im zeitgenössischen Stil, um das Lesen zu beschleunigen.
Auch die spanische Tageszeitung El Mundo hat 2009 ihr Design komplett überarbeitet, sowohl für die Papierversion, die digitale Ausgabe als auch für die Beilagen. Für den Textkörper wurde Imperial eingeführt, eine neue, klarere und besser lesbare Schriftart. Die Größe des Buchstabenkörpers und des Zeilenabstands wurde um einen halben Punkt erhöht. Für die Überschriften wurde Valencia Extra Bold gewählt, die auch auf der Titelseite verwendet wird, während Neo Sans S.T.D. den Überschriften im Sportteil vorbehalten ist, weil sie einen „literarischen und fast subjektiven“ Erzählton für die Berichte über Sportveranstaltungen ermöglicht.
Unser Überblick über die Schriftarten einiger der berühmtesten europäischen Tageszeitungen endet hier und zeigt uns, dass die Wahl des perfekten Fonts beim Aufbau einer starken visuellen Identität inzwischen eine maßgebliche Rolle spielt. Denn diese ermöglicht den Zeitungen, sich von anderen abzuheben und das Vertrauen ihrer Leser zu erobern.