Paul McNeil teilt mit Pixartprinting seine langjährigen Erfahrungen und Ideen und sieht mit uns in die Zukunft der visuellen Kommunikation und der Schriftgestaltung. Der Schriftdesigner weiß unheimlich viel über das Thema, was auch seinem monumentalen Werk zu verdanken ist, für das er 7 Jahre bis zur Fertigstellung brauchte.
Seit nunmehr über 30 Jahren arbeitet er in den Bereichen der Brand Communication und Visual Identity für Regierungen, Telekommunikationsunternehmen im Vereinigten Königreich und gemeinnützige Einrichtungen als Schriftdesigner. Vom Werk des Veterans der Schriftdesignindustrie The Visual History of Type haben wir bereits kurz in einem Artikel berichtet. Die akribische Recherche, die hinter jeder einzelnen der 672 Seiten dieses beeindruckenden Wälzers steckt, die chronologische Geschichte der Schriftzeichen und nicht zuletzt das Design des Buches selbst erfordern jedoch eine Vertiefung des Themas.
Neben seiner Tätigkeit als Designer hat McNeil auch im Bereich der Bildung gearbeitet und am London College of Communication Design gelehrt, wo er von 2010 bis 2015 Course Leader des Masterstudiengangs für Typografie war und heute Senior Lecturer ist.
2010 gründete er gemeinsam mit Hamish Muir das Studio MuirMcNeil, dessen Schwerpunkt im Parametric Design liegt.
Ich hatte die Möglichkeit, mit ihm über die Entwicklung der Designindustrie in den letzten Jahrzehnten und über die Trends der Zukunft der Schriftgestaltung zu sprechen.
1) Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen als Designer: Wie haben Sie die ersten Schritte in der Branche unternommen und wie hat sich diese über die Jahre verändert?
Ich habe zu Beginn der 70er-Jahre als Grafikdesigner angefangen und damals als Junior in einem großen „Studio für kommerzielle Kunst“ gearbeitet. Zu der Zeit befand sich die Designbranche in einem großen Umbruch: Fast die gesamte visuelle Kommunikation für die Werbung hatte sich davor um die Prozesse Sketching, Planung und Ausarbeitung von genauen Anweisungen für die Druckexperten, wie die Druckereien, gedreht. In den frühen 70er-Jahren kamen dann schließlich die Anreibebuchstaben und der Fotosatz hinzu.
In Verbindung mit den schnellen, günstigen und effizienten Druckverfahren der Offset-Lithografie führte das in der visuellen Kommunikation zu einer wahren Revolution und verschob die Kernaktivitäten der traditionellen Druckereien hin zu den Designern – Leuten wie mich. Diese Veränderungen führten dazu, dass es immer mehr Grafikdesigner gab; nun lag die Kontrolle des Ursprungs der gedruckten Kommunikation zum ersten Mal in den Händen des Nutzers und es kündigte sich die digitale Revolution am Ende der 80er-Jahre an.
Zu dieser Zeit hatte ich bereits seit einigen Jahren mein Studio und beschäftigte mich mit Branding und Visual Identity, vor allem für Unternehmen in Sektoren wie der Technologie und der Telekommunikation. Als das erste kostengünstige und nutzerfreundliche Softwarepaket für Macintosh-Computer herauskam, führte das in der Designbranche, im Druckbereich und bei den Verlagen zu einem wahren Erdbeben, sodass man sogar von der „Revolution des Desktop-Publishings“ sprach. Für mein Unternehmen bedeutete dies geringere Kosten, kürzere Bearbeitungszeiten, verbesserte Produktivität und höhere Gewinne. 2001 konnte ich mir dadurch die Zeit nehmen, einen Masterstudiengang für Typografie am berühmten London College of Printing zu besuchen. Seitdem gehe ich bei der Wahl meiner Arbeiten viel selektiver vor.
Ich glaube, dass meine Laufbahn und meine Erfahrungen ganz gut zeigen, wie sich die Branche verändert hat. Was früher einmal eine „kommerzielle Kunst“ war, ist heute viel enger mit der Brand Communication verflochten. Während das Design früher per Definition eine schwierige, handwerkliche Tätigkeit war, ist es heutzutage ein Prozess, der viel flexibler, wirtschaftlicher und persönlicher ist. Dank der Technologie kann jeder, der etwas entwerfen möchte, dies auch tun. Auch wenn ich nicht so weit gehen möchte und dies als Demokratisierung bezeichnen will, so ist das Design dadurch doch viel mehr Menschen zugänglich – und hat dabei gleichzeitig stark an Wertigkeit verloren. Es muss aber auch gesagt werden, dass der Bereich des Grafikdesigns heute viel breitgefächerter ist, als er es noch vor vierzig Jahren war.
2) Warum The Visual History of Type? Vom geschichtlichen Ansatz bis hin zum Design des Buches ist klar, dass damit im Vergleich zu anderen Veröffentlichungen zum Bereich der Schriftzeichen etwas Anderes angeboten werden sollte.
Für mich sind Schriftzeichen und die Typografie die zentralen Pfeiler der Kommunikation und nicht einfach nur ein Teil des Toolkits. Mit diesen Dingen habe ich mich während meiner gesamten beruflichen Laufbahn beschäftigt. Vor einigen Jahren hatte ich festgestellt, dass es neben der Encyclopedia of Typefaces von Berry und Johnson Jaspert, die seit 1953 kontinuierlich gedruckt wird, und dem unübertrefflichen Atlas of Typeforms von Sutton und Bartram von 1968 – zwei Büchern, die ich sehr schätze – keine Ausgaben zur Geschichte der Schriftzeichen gibt. Und da ich tagtäglich mit Studierenden gearbeitet habe, wurde mir auch immer mehr bewusst, dass diese zu dem Thema relativ wenig wussten. Ich wollte damit eine Lücke füllen – nicht nur, um praktizierenden oder angehenden Designern dabei verstehen zu helfen, wie und warum Schriftzeichen funktionieren, sondern auch, um zu zeigen, wie stark diese mit der Geschichte verknüpft sind. Das Schriftzeichen gibt eine kleine Einsicht in die Kultur und basiert nicht nur auf der technologischen Entwicklung, sondern auch auf dem ästhetischen „Milieu“ unterschiedlicher Epochen und auf Zyklen sozialer und ideologischer Veränderungen.
Da ich während meiner beruflichen Laufbahn eine beträchtliche Menge von Druckerzeugnissen entworfen hatte, war ich entschlossen, das zu vermeiden, was man als einen konventionell rhetorischen Designansatz definieren könnte. In vielen Büchern ziehen das Layout und die Typografie die Aufmerksamkeit auf sich (und damit auf den Designer), als wolle man damit inhaltliche Mängel wettmachen, um etwas „Dummes wunderschön erscheinen zu lassen“ – um es mit den Worten des Schriftgestalters und Typografen Erik Spiekermann wiederzugeben.
Die Herangehensweise an das Design von The Visual History of Type war genau das Gegenteil davon. Die Strukturierung und das redaktionelle Konzept sollten beide klar und präzise sein, um einen Überblick über die wichtigsten Schriftzeichen zu geben, die von der Erfindung des Drucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur heutigen Zeit produziert wurden. Der Akzent liegt darauf, die wichtigsten Schriftarten vorzustellen, und zwar in ihren ursprünglichen Ausgaben oder, wenn geeignet, in modernen Dokumenten. Jede der mehr als 320 Schriftarten wird in ihrer realen Größe gezeigt und von kurzen Zusammenfassungen zur Entwicklung, zum Aussehen und zur Anwendung sowie von Tabellen begleitet, welche sie in einen Kontext einordnen.
3) Nach welchen Kriterien haben Sie die Schriftarten ausgewählt – und inwieweit haben die Schönheit oder die Brauchbarkeit und Lesbarkeit eines Fonts dazu beigetragen, in das Buch aufgenommen zu werden?
Da ich mich für einige Zeit mit dem Design und der Typografie beschäftigt habe, hatte ich zu Beginn des Projekts eine ziemlich klare Vorstellung von den Schriftarten, die ich in das Buch aufnehmen wollte. Mit der Zeit kamen allerdings fantastische Fonts dazu, die ich gefunden habe, wie Antiqua von 1923 von Vojtěch Preissig oder Infini von 2015 von Sandrine Nugue. Alles wurde detailliert in eine Tabelle eingegeben, die nach jedem Besuch von Bibliotheken und Archiven aktualisiert wurde, wobei mir auch professionelle Rechercheure über meinen Herausgeber Laurence King eine Auswahl von Bildern zusendeten. Einige der im Buch vorgestellten 320 Schriftarten musste man einfach auswählen, weil sie weithin als „Klassiker“ bekannt und lesbar, vielseitig sowie diskret sind (beispielsweise Garamond, Caslon und Baskerville) – weil Generationen von Lesern finden, dass diese Schriftarten einfach lesbar und in der Typografie ein Bezugspunkt par excellence sind, auch hinsichtlich ihrer Funktionalität und Schönheit.
Das Ziel von The Visual History of Type ist jedoch, einen gründlichen Überblick über jede Entwicklungsphase zu geben, denn nicht alle Schriftzeichen müssen schön und lesbar sein und die Zeit überdauern. Einige haben nur die Aufgabe, die Aufmerksamkeit auf sich und auf Botschaften zu ziehen, die sie übermitteln; auch von diesen Beispielen enthält das Buch einige extravagante Beispiele, die nur für kurze Zeit und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Werbezwecken verwendet wurden. Außerdem sind einige experimentelle und innovative Designs vorhanden, die in kommerzieller Hinsicht zwar ein Flop waren oder nie veröffentlicht worden sind, jedoch Diskussionen eröffnet haben, die in diesem Bereich zu neuen Entwicklungen führten, wie beispielsweise die Schriftart New Alphabet von Wim Crouwel von 1967. Auch wenn ganz klar meine persönlichen Präferenzen die Auswahl beeinflusst haben, wurden alle Schriftarten sorgfältig auf der Grundlage ihrer Relevanz hinsichtlich der zeitlichen Abfolge ausgewählt, und nicht solche, welche im Allgemeinen als schöner, lesbarer oder würdiger empfunden werden könnten. Ein Thema, das bei The Visual History of Type immer wiederkehrt, ist das im Wandel befindliche Verhältnis zwischen Technologie und Ideologie vom Mittelalter bis zur Moderne. Diese kulturellen Veränderungen zeigt die Entwicklung der Schriftarten visuell auf sehr wirkungsvolle Art und Weise.
Die Schriftzeichen sind das Werk des Menschen und hatten einen Einfluss auf unsere Gesellschaft. Fast jeden Tag entdecke ich eine neue Schriftart, die ich gern in das Buch aufgenommen hätte (z. B. Bely, Nordvest, Minerale, BW Gradual, Brutal, Sang Bleu oder IBM Plex); gleichzeitig bin ich allerdings sehr froh darüber, dass ich mir keine Sorgen darüber machen muss, Dinge zu ändern, die ich nicht ändern kann.
4) Wer waren Ihre Mentoren, die Sie in Ihrer Arbeit unterstützt und für dieses Buch inspiriert haben? Welche Bücher sind Ihrer Meinung nach für Studierende des Schriftdesigns, aber auch für jene, die bereits in diesem Bereich arbeiten, ein unverzichtbarer Bestandteil der eigenen Bibliothek?
Sicherlich war das Werk von Karl Gerstner im Laufe der Zeit für mich eine Quelle der Inspiration. Gerstner ist ein Schweizer Grafikkünstler, dessen Arbeiten immer sehr elegant und gleichzeitig zurückhaltend und unaufdringlich sind. Seine Vorgehensweise zeichnet sich durch wohl durchdachte und analytische Methoden und einen intellektuellen Forschungsansatz aus, wodurch sein Schaffen ästhetisch angenehm und konzeptuell stimulierend wird. Seine Bücher Designing Programmes (1968) und Compendium for Literates (1974) zählen zur Grundlagenliteratur, die ich jedem empfehle, der sich für die visuelle Kommunikation interessiert.
Auch meine Tutoren am London College of Printing, Ian Noble und Russell Bestley, sind für mich unheimlich wichtig – nicht nur hinsichtlich ihrer Expertise und ihres Wissens, sondern auch aufgrund ihres Vertrauens und ihres Engagements. Dank der Ideen, die ihrem in der Veröffentlichung Visual Research vorgestellten Ansatz zu Grunde liegen, konnte ich das Design nicht nur als einen Beruf, sondern auch als eine Möglichkeit sehen, die Welt kritisch durch ein Vergrößerungsglas zu sehen und so mit ihr zu interagieren. Ich stehe tief in ihrer Schuld.
Gute Referenzliteratur, die Studierenden des Schriftdesigns zur Verfügung steht, gibt es nur spärlich. Unsere Branche ist manchmal etwas verschwiegen und ein wenig kurzsichtig: Nur wenige wollen ihr Wissen und ihr Können teilen; vielleicht ist das auch verständlich, wenn das Publikum nicht die breite Masse ist. Die wichtigsten Veröffentlichungen sind die Kataloge der großen Schriftgießereien, Unternehmen, welche im 20. Jahrhundert Schriften entwarfen und verkauften, wie z. B. Monotype, Linotype, Berthold und vor allem American Type Founders. Wer sich für das Schriftdesign interessiert, sollte aber auch die aktuellen Arbeiten kennen, welche die zu Neudeutsch „Type Foundries“ in großem oder kleinem Rahmen entwickeln, wobei man vor allem bei der Online-Recherche stets auf die Herkunft neuer Projekte achten sollte. Zu den hervorragenden Publikationen zählen die aktuellen Werke Futura des Verlags Hermann Schmidt und Adrian Frutiger Typefaces des Verlags Birkhäuser, die beispielhafte Monografien sind.
5) Inwiefern hat die digitale Technologie die Produktion und die Entwicklung neuer Schriftarten beeinflusst?
Radikal und unwiderruflich – wie alles andere im digitalen Zeitalter. Einige sagen, dass wir deshalb im Schriftdesign gerade ein goldenes Zeitalter mit eleganteren, besser funktionierenden und anspruchsvolleren Fonts erleben, die von einer Generation von zunehmend reiferen Schriftdesignern entwickelt werden. Andere glauben, dass die Qualität abgenommen hat, seit die digitale Vermittlung die visuelle Kommunikation in die Hände derer gegeben hat, die einen Computer nach Belieben nutzen. Die Zeit wird es zeigen.
6) Wie hat sich die Branche des Printdesigns mit der zunehmenden Wichtigkeit des Digitalen verändert?
Obwohl die digitalen Medien mittlerweile vorherrschen, so haben sie den Druck nicht so drastisch ersetzt, wie es einige vorausgesagt hatten. Wir tendieren oft dazu, Dinge, die anders sind, als gegensätzlich zu sehen, z. B. „Print ist tot“, weil wir nun auf einen Großteil der Informationen über den Bildschirm zugreifen. Es gibt jedoch viele Belege dafür, dass die neuen Medien koexistieren können und es wahrscheinlich auch weiterhin tun werden. Das Druck- und Verlagswesen sind schon lange nicht mehr die einzigen Mittel der Massenkommunikation, auch wenn Drucksachen auf gewisse Weise interaktiver, direkter und persönlicher als ihr digitaler Gegenpart bleiben und im Gegensatz zu diesem immer den Verdienst eines Wertes haben werden, der proportional zu dem ist, was in ihn investiert wurde.
Die Veröffentlichung in Form eines Buches war für The Visual History of Type aufgrund der engen Verbindung zwischen Form und Inhalt zweifelsohne die angemessenste, denn der Großteil des Themas bezieht sich direkt auf den Druck. Momentan gibt es kein digitales Äquivalent für ähnliche Arbeiten, aber es wäre wunderbar, wenn es eine Webseite von The Visual History of Type mit einer entsprechenden Datenbank gäbe, die ständig erweitert wird – jedoch nur, wenn die Bearbeitung, Pflege und Reproduktion hohen Standards entspräche.
7) Sprechen wir über die Zukunft – inwieweit kann man noch mit Schriftarten experimentieren und braucht die Welt neue Fonts?
Max Kisman hat vor vielen Jahren betont, dass alles ein Schriftzeichen sein kann – und dies bleibt ein gültiger Grundsatz. Alles hängt davon ab, wie man „Schriftzeichen“ definiert.
Wenn die Welt außerdem keine neuen Schriftarten mehr braucht, dann braucht sie gar nichts mehr. Wir würden alle gleich aussehen, uns gleich anziehen, das Gleiche essen, uns alle gleich anhören, uns dieselben Veranstaltungen ansehen, dieselbe Musik hören und dasselbe Buch lesen.