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Werbeplakate gehören zu den ältesten, existierenden Arten von Werbung. Ihre Ursprünge gehen auf die Industrialisierung zurück, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts das Antlitz der Städte Europas veränderte. Das Bevölkerungswachstum und der Anstieg des durchschnittlichen Einkommens führten dazu, dass die Industriellen jener Zeit erste Güter in Massenproduktion herstellen ließen. Natürlich galt es nun, das Interesse der neuen Gesellschaftsklassen, die dem unteren und mittleren Bürgertum angehörten, zu wecken, um den Kundenkreis zu erweitern.
In Großstädten wie Paris und London wurden zur gleichen Zeit immer mehr Theater, Kabaretts und Nachtlokale mit einem gut gefüllten Veranstaltungskalender eröffnet, für die auf den Straßen der Stadt Werbung gemacht werden musste. In jenen Jahren entdeckten die Typografen die Chromolithografie: Mit dieser Technik können farbige Zeichnungen mithilfe von Steinplatten auf Papier erstellt werden.
Wie alles begann
Einer der geistigen Väter des Werbeplakats ist Jules Chéret, der bereits mit 13 Jahren die Welt des Drucks betrat, als er eine Lehre bei einem Lithografen begann. Im Lauf seines Lebens druckte er Tausende von Plakaten für Theater, Nachtlokale und Konzertsäle und erzielte unglaubliche Ergebnisse durch den Einsatz der Farblithografie. Er war der erste, der dem Bildanteil eine größere Bedeutung beimaß als den Texten und so die ästhetischen Maßstäbe jener Epoche über den Haufen warf. Auf seinen Postern bildete Chéret mit Vorliebe weibliche Figuren ab: Die sogenannten „Chérettes“ waren die ersten Werbemodels der Geschichte.
In Italien veröffentlichte zunächst Rossetti im Jahr 1863 ein Poster für die lyrische Oper „Faust“ von Gounod, bevor der deutsche Maler und Illustrator Adolf Hohenstein 1889 ein farbiges Plakat für die lyrische Oper „Edgar“ von Giacomo Puccini erschuf. Dies markierte den Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Musikverleger Giulio Ricordi, der ihm die künstlerische Leitung der Officine Grafiche Ricordi übertrug.
Diesem Verlagshaus hat die italienische Plakatkunst enorm viel zu verdanken: In seinem Namen begaben sich etliche Künstler auf die Suche nach einer neuen grafischen und sprachlichen Ausdrucksform für die Gestaltung von Wandplakaten, Annoncen und Veröffentlichungen in den verlagseigenen Zeitschriften, Sammelpostkarten und Opernlibrettos. Als besonders wertvoll erwies sich die zwanzigjährige Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Mele, die 1889 in Neapel eines der ersten Kaufhäuser Italiens errichteten. Namhafte Künstler wie Marcello Dudovich, Leopoldo Metlicovitz, Leonetto Cappiello und Aleardo Terzi schufen eine Reihe von Plakaten in malerischem Stil, auf denen elegant gekleidete Menschen in mondänen Szenerien abgebildet waren: Mit diesen sollte die Aufmerksamkeit des mittleren Bürgertums auf die breite Auswahl an günstiger Konfektionskleidung gelenkt werden.
Der innovativste italienische Plakatkünstler war Leonetto Cappiello, Illustrator und Karikaturist aus Livorno, der mit den von Chéret und Jugendstil beeinflussten ästhetischen Konventionen brach. Er ließ sich vom Expressionismus und den Fauves inspirieren und prägte einen eigenen Stil. Fantastische Gestalten, wie Kobolde, Clowns und Amazonen, tauchten häufig auf seinen Plakaten auf und wurden durch den Einsatz knalliger Farben auf dunklem Hintergrund hervorgehoben. Zum ersten Mal hatten die Bilder auf den Postern keinen direkten Bezug zum beworbenen Produkt, sondern stellten es mittels symbolischer Figuren mit hohem Wiedererkennungswert dar. Ein weiteres Merkmal seines Stils war der tiefe Blickwinkel, der die Ausdruckskraft der Abbildungen erhöhte.
Einflüsse des Futurismus
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die italienische Werbegrafik von den neuen Schönheitsidealen der Futuristen beeinflusst, die der Modernität mit kräftigen Farben und auffälligen Schrifttypen frönten. Dem italienischen Künstler Fortunato Depero gelang es ausnehmend gut, die Grundsätze futuristischer Kunst in Werbeproduktionen einfließen zu lassen, und so schuf er fantastische Plakate für die größten italienischen Unternehmen jener Zeit: Campari, Sanpellegrino, Bianchi Fahrräder und Strega Alberti Benevento.
Depero revolutionierte den Stil der Werbeplakate, indem er die Buchstaben als wahrhaftige Grafikelemente mit den Bildern kombinierte und um aus dem Kubismus entlehnte kräftige Linien und geometrische Formen ergänzte. Bis heute beeinflusst der Stil von Depero moderne Designer und Künstler bei der Gestaltung von Werbeillustrationen für die unterschiedlichsten Zwecke.
1950er- bis 1970er-Jahre
Nachdem Poster während des Zweiten Weltkriegs für politische und Propagandazwecke genutzt worden waren, stellte sich das Plakat zu Beginn der 1950er-Jahre wieder vollkommen in den Dienst des Handels und bewarb neu auf dem Markt erschienene Produkte, vom Büchsenfleisch bis hin zum Fernsehapparat.
Und mit Gründung der RAI (der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Italiens) entstand auch eine neue Werbesprache: In den Werbespots des TV-Formats „Carosello“ wurden die Produkte mit spritzig-ironischem Tonfall in kurzen, witzigen Sketchen vorgestellt, bei denen bekannte italienische Schauspieler mitwirkten. Schöpfer der berühmten Reklamefilme dieser Sendung ist der Grafiker Armando Testa, der auch für die legendärsten Plakate jener Zeit verantwortlich zeichnet. Mit seinen Kampagnen schuf er für Italiener unvergessliche Slogans und Figuren, wie etwa das Flusspferd Pippo für die Windelmarke Lines oder Caballero und Carmencita für die Kaffeemarke Paulista.
Zu seinen bekanntesten Affichen gehören das Plakat für Pirelli, auf dem ein Elefant abgebildet ist, den statt eines Rüssels ein Reifen ziert, und das Poster für den Aperitif Punt e Mes, auf dem eine schwebende Kugel sowie eine Halbkugel zu sehen sind – eine Anspielung auf den Markennamen, der im Piemontesischen „ein Punkt und ein halber“ bedeutet.
Von den 1980er-Jahren bis heute
Mit Einstellung der Sendung „Carosello“ im Jahr 1977 und Aufkommen des Farbfernsehens unterstützte die Plakatkunst auch weiterhin Fernsehwerbespots, indem sie deren Reichweite vergrößerte.
Als Vater der Schockwerbung (auf Englisch „shockvertising“ genannt) zeichnet der Fotograf und Werbefachmann Oliviero Toscani für einige der denkwürdigsten Plakate der 1980er- und 1990er-Jahre verantwortlich. Sein nonkonformistischer, provozierender und ketzerischer Stil haben zur weltweiten Bekanntheit der Kleidungsmarke Benetton beigetragen: Seine Kampagnen greifen ganz unterschiedliche soziale Themen auf. Oliviero Toscani behandelt den Verbraucher – als erster italienischer Werbefachmann überhaupt – als Menschen, der über Urteilsvermögen und ethische Werte verfügt, indem er nicht ein Produkt in den Fokus rückt, sondern ein Nachdenken über die drängendsten Probleme unserer Gesellschaft einfordert.
Doch wie sieht es heute im Zeitalter von Internet und Social Media aus: Ist das Werbeplakat noch von Bedeutung? Plakatwerbung und ganz allgemein Out-of-Home-Reklame (d. h. Plakate im Freien, an öffentlichen Plätzen oder in und an Fahrzeugen) spielen auch weiterhin eine tragende Rolle beim Advertising und legen gemäß den von der ROI-Agentur Zenith veröffentlichten Daten im Vergleich zu den Vorjahren sogar zu. Bei den weltweiten Investitionen in Werbeplakate prognostizierte Zenith für 2018 ein 3-prozentiges Wachstum gegenüber dem Jahr 2017, d. h. ein Anstieg um 35 % gegenüber 2010. Sieht man von der Internet-Werbung einmal ab, so ist Außenwerbung der weltweit am stärksten wachsende Bereich im Advertising.
In Italien sieht die Lage ein wenig anders aus: Laut der jüngsten Nielsen-Studie sind die Ausgaben für Außenwerbung im Jahr 2018 um 10 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, während die Investitionen in Verkehrsmittelwerbung (d. h. Reklame auf Straßenbahnen, U-Bahnen oder Zügen bzw. in Flughäfen) gegenüber 2017 um 9 % zulegen konnte.
Auch wenn großformatige Werbung aus Budgetgründen großen Unternehmen vorbehalten bleibt, so sind kleinere Plakate und Werbeposter für wirklich jedes Unternehmen und jede Organisation erschwinglich: Sie sind und bleiben überaus wirksame Kommunikationsmittel, mit denen sich eine Botschaft beim größtmöglichen Personenkreis verbreiten lässt, und zwar zu einem im Vergleich mit anderen digitalen Medien oder Werbeträgern aus Papier wirklich günstigen Preis.